Torsten Groß
Corona: Rotes Kreuz warnt vor neuer Massenmigration
Weil das Coronavirus die wirtschaftliche Existenzgrundlage großer Teile der Bevölkerung in den Entwicklungsländern zerstört, rechnet das Rote Kreuz mit einer neuen »Zwangsmigrations-Welle« in die Industriestaaten nach Wiedereröffnung der Grenzen. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP zeigte sich der Generalsekretär der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften (IFRC), Jagan Chapagain, zutiefst besorgt über die Auswirkungen der Pandemie auf den Lebensunterhalt und die Ernährungssituation einer wachsenden Zahl von Menschen in der Dritten Welt. Die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus wie der wirtschaftliche Lockdown und die Einschränkungen im internationalen Handel haben unzählige Arbeitsplätze vernichtet und die Verdienstmöglichkeiten vieler Erwerbspersonen zerstört, die nun ohne Auskommen dastehen und anders als in Europa nicht auf Unterstützung durch einen Sozialstaat hoffen können.
»Was wir hören, ist, dass viele Menschen, die ihren Lebensunterhalt verlieren, gezwungenermaßen auswandern werden, sobald sich die Grenzen öffnen. Wir sollten uns nicht wundern, wenn es in den kommenden Monaten und Jahren massive Auswirkungen auf die Migration gibt«, so die düstere Prognose von Chapagain.
Erste Ausläufer einer neuen großen Zuwanderungswelle, die wegen seiner Nachbarschaft zu Afrika und den Krisenregionen Vorderasiens vor allem Europa treffen würde, sind schon jetzt erkennbar. In den letzten Wochen sind immer mehr sog. »Flüchtlinge« über das Mittelmeer nach Italien gelangt.
Seit Anfang 2020 hat sich ihre Zahl gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres – damals hieß der Innenminister in Rom noch Matteo Salvini (Partei Lega) – verdreifacht, nämlich auf über 12.500. Allein im Juli reisten bislang rund 5.300 Menschen illegal ein. Das bekommt vor allem die kleine italienische Mittelmeerinsel Lampedusa zu spüren, die geographisch zu Afrika gehört und nur 138 Kilometer von der Küste Tunesiens entfernt liegt. Sie ist deshalb eines der bevorzugten Anlaufziele für Afrikaner, die nach Europa gelangen wollen. Praktisch täglich erreichen mehrere Flüchtlingsboote das kleine Eiland. Allein in der vergangenen Woche kamen über 1.000 Migranten auf der Insel an, am letzten Montag weitere 100.
Fast die Hälfte der Bootsflüchtlinge, die seit Beginn des Jahres in Italien eintrafen, sind an der Küste Tunesiens aufgebrochen. 4.500 von ihnen sollen tunesische Staatsbürger sein, die der wirtschaftlichen Not in ihrer Heimat entfliehen wollen und in Europa ein besseres Leben suchen, ohne eine Chance auf Asyl zu haben. Bei den Neuankömmlingen handelt es sich – wie schon in der Vergangenheit – überwiegend um junge Männer.
»Es ist nicht wahr, dass es weniger Migranten als zuvor gibt. Es gibt mehr als je zuvor, sie kommen auf kleineren Booten an. Aber wenn wir 20 Boote an einem Tag mit 11 oder 15 oder 30 Personen haben, werden die Einheimischen hier doch verrückt«, erklärte vor einigen Tagen Salvatore Martello, Bürgermeister von Lampedusa. Die Lage auf der Insel bezeichnete er als »unkontrollierbar«.
Zu Recht: Die Flüchtlingseinrichtungen auf Lampedusa sind seit Jahren überfüllt. Das Coronavirus verschärft die Lage zusätzlich. Zwar führen Beamte Temperaturkontrollen bei den ankommenden Migranten durch, bevor sie in die Unterkünfte gebracht werden. Doch diese Tests sind nicht nur unzuverlässig, weil viele Infizierte keine Symptome zeigen, sondern bringen auch wenig, weil wegen der beengten Verhältnisse eine Selbstisolation von COVID-19-Erkrankten kaum möglich ist, was die Verbreitung des Virus unter den Zuwanderern begünstigt.
Die linke Regierung in Rom hat jetzt begonnen, mit Fähren Hunderte Migranten von Lampedusa nach Sizilien zu bringen, was zu Protesten der dortigen Regionalregierung geführt hat. Aus gutem Grund: In den vergangenen Tagen ist es in Caltanisetta und Porto Empedocle auf Sizilien binnen 24 Stunden zu zwei Massenausbrüchen von Asylbewerbern aus Übergangslagern gekommen, wo sie sich zum Schutz der Bevölkerung vor dem Coronavirus in zweiwöchiger Quarantäne befanden. Nur ein Teil der Geflüchteten, fast ausnahmslos Tunesier, die wohl ihre zeitnahe Abschiebung in die Heimat befürchteten, konnte von der Polizei aufgegriffen und in die Einrichtung zurückgebracht werden. Der Rest ist bis heute verschwunden. Sollten sich Infizierte unter den Geflüchteten befinden, könnten sie das Virus auf Sizilien bzw. auf dem italienischen Festland und später in ganz Europa verbreiten. Diese Befürchtung äußert selbst Luigi di Maio, amtierender italienischer Außenminister von der 5-Sterne-Bewegung, in einem Beitrag auf Facebook.
Italiens früherer Ministerpräsident Silvio Berlusconi, Chef der liberal-konservativen Partei Forza Italia, sekundiert und spricht von »der Gefahr einer neuen Welle von importierten Coronaviren«. In dasselbe Horn bläst die Regierung der Mittelmeerinsel Zypern, die ebenfalls Einfallstor für illegale Migranten vor allem aus dem Nahen Osten ist. Auch Nikosia warnt vor der Bedrohung, die von infizierten Asylbewerbern ausgeht, die unkontrolliert einreisen.
Das Problem würde sich massiv verschärfen, sollte es tatsächlich zu der vor vom Roten Kreuz befürchteten neuen Migrationswelle in Richtung Europa kommen. IFRC-Chef Jagan Chapagain hält es deshalb für unerlässlich, dass die Industriestaaten den Menschen helfen, Einkommen, Bildung und Gesundheitsversorgung in ihren Heimatländern zu finden. Ein im Angesicht der Corona-Pandemie besonders wichtiger Faktor sei dabei »die Verfügbarkeit von Impfstoffen«. Chapagain wörtlich: »Wenn die Leute sehen, dass der Impfstoff beispielsweise in Europa, aber nicht in Afrika erhältlich ist, was passiert dann? Die Leute wollen an einen Ort gehen, an dem Impfstoffe erhältlich sind.« Ein möglicher Corona-Impfstoff müsse deshalb als ein »öffentliches Gut« allen Staaten der Welt und ihren Bewohnern zur Verfügung gestellt werden.
Ob es einen solchen Impfstoff jemals geben wird, steht allerdings in den Sternen, zumal sich die Hinweise mehren, dass sich wieder genesene Corona-Patienten erneut mit dem Virus anstecken können. Sollte sich der Verdacht einer Zweitinfektion mit SARS-CoV-2 bestätigen, würde ein Impfstoff wohl keinen Sinn ergeben. Dann könnte es nur noch darum gehen. die Ausbreitung der Seuche so gut wie möglich einzudämmen.
Hinzu kommt, dass sich die Industrienationen auch in der EU wegen der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie mit erheblichen finanziellen Belastungen konfrontiert sehen. Das schränkt den Spielraum für Hilfen an unterentwickelte Länder in Afrika und Vorderasien erheblich ein.
Sollten sich in den nächsten Monaten und Jahren tatsächlich Millionen von möglicherweise corona-infizierten Menschen aus Afrika und Asien nach Europa aufmachen, und sei es nur, weil sie hier auf bessere Behandlungsmöglichkeiten im Falle einer COVID-19-Erkrankung hoffen, wäre das ein »Horrorszenario« speziell für Deutschland als dem Lieblingsziel von »Schutzsuchenden« in der EU. An einer konsequenten Abschottung der europäischen Außengrenzen gegen neue Migrationsströme führt deshalb schon aus Gründen des Gesundheitsschutzes der einheimischen Bevölkerungen kein Weg vorbei.
Doch in Brüssel und Berlin hält man weiter an dem gerade in Pandemiezeiten irrationalen Plan fest, illegale Zuwanderer »gerecht« auf alle EU-Mitgliedsstaaten verteilen zu wollen. Das gilt übrigens auch für die Migranten, die aktuell in Italien anlanden – anstatt die in erster Linie aus Nordafrika kommenden jungen Männer ohne Asylanspruch umgehend wieder in ihre Heimatländer zurückzuschicken.
Ecco il grado di ridicolizzazione e umiliazione dell’Italia e degli italiani causato da questo governo fallimentare. Ormai all’estero siamo una barzelletta. pic.twitter.com/0iM1LtM7NI
— Matteo Salvini (@matteosalvinimi) July 28, 2020
Am Montag kam eine Gruppe von 11 Migranten aus Tunesien in einem Schlauchboot ausgestattet mit einem starken Außenbordmotor auf der italienischen Insel Lampedusa an. Ihr Gepäck war in modischen Rucksäcken verstaut. Einer der Männer führte sogar seinen Hund an der Leine mit. Diese auf dem obigen Video festgehaltene Szene veranlasste den früheren Innenminister Matteo Salvini zu folgendem Kommentar auf Twitter:
»Hier ist der Grad der Lächerlichkeit und Demütigung Italiens und der Italiener, der durch diese Insolvenzregierung verursacht wurde. Wir sind jetzt ein Witz im Ausland!«
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Freitag, 31.07.2020